Anlässlich des Erscheinens des Films „The Kashmir Files“, der kurz nach dem Kinostart in Indien auch in diversen deutschen Kinos gezeigt wurde, haben wir einen offenen Brief an diverse deutsche Politiker*innen, Journalist*innen, betreffende Kinos und Kulturinstitutionen verfasst.

Liebe*r _______,


Wir, das India Justice Project, schreiben Ihnen, um Sie darauf aufmerksam zu machen, dass ein Film wie „The Kashmir Files“, basierend auf den Mechanismen Goebbelscher Hass- und Gewaltpropaganda, aktuell in deutschen Kinos ausgestrahlt wird. Der Film stellt eine große Bedrohung für die muslimische Community im Allgemeinen und insbesondere kaschmirische Muslim*innen und die indische muslimische Minderheit dar. Es ist zu erwarten, dass ein Publikum ohne viel Hintergrundwissen über die historischen Ereignisse und das politische Klima in Indien den Film als informativ, faktenbasiert und wahr rezipieren wird. In diesem Brief möchten wir daher den Kontext erläutern und erklären, warum die Vorführung dieses Films in Deutschland für uns schockierend und beunruhigend ist. 

Wir sind eine Gruppe von in Berlin ansässigen Menschenrechtsforscher*innen, Anwält*innen und Community-Organisator*innen, die die anhaltenden verbalen und physischen Angriffe gegen verschiedene Minderheiten sowie die sich verschlechternden Bedingungen für den Schutz und die Einhaltung grundlegender Menschenrechtsnormen in Indien dokumentieren und analysieren. Einige der Mitglieder des India Justice Project haben die Repression des indischen Staates aus erster Hand erfahren und sind gezwungen gewesen, das Land zu verlassen.  

Das Thema des Films „The Kashmir Files“ ist besonders sensibel. Der Film gibt vor auf einem realen Ereignis zu basieren, das sich in den 1990er Jahren in Kaschmir ereignete und bei dem die kaschmirischen Pandits (eine Hindu-Community in Kaschmir) Gewalt ausgesetzt waren. Wir leugnen nicht die enorme humanitäre Tragödie, die die Community der kaschmirischen Pandits erlitten hat. Der betreffende Film wird jedoch kritisiert, da er viele sachliche Ungenauigkeiten und Übertreibungen enthält und die Ereignisse von 1990 in manipulativer Weise nutzt, um die muslimische Community, insbesondere die muslimisch-kaschmirische Community, zu entmenschlichen und zu dämonisieren.[1] Clips in sozialen Medien und Nachrichtenartikel über die Vorführung des Films belegen die aufhetzende Wirkung des Films. Videos von Zuschauer*innen (in den meisten Fällen militante Hindus, die mit der BJP-Regierung verbündet sind), die Hassreden halten und zum Abschlachten von Muslim*innen, zum Boykott muslimischer Geschäfte, zur Vergewaltigung und Zwangsverheiratung muslimischer Frauen und zur Forderung nach einer Nation nur für Hindus aufrufen, sind in den sozialen Medien zahlreich zu sehen.[2] Im gegenwärtigen Klima zunehmender staatlich geförderter Gewalt gegen die muslimische Minderheit in Indien hat der Film dazu geführt, dass sich die Angst und Verwundbarkeit der Muslim*innen, die innerhalb der Grenzen des indischen Staates leben, weiter zugespitzt hat.[3] 

Der Film ist als Teil der breit angelegten islamfeindlichen, militanten hindunationalistischen Propaganda der indischen BJP-geführten Regierung zu sehen, die ein autoritäres ultra-hinduistisches rechtes Regime ist, das offen zum Völkermord an Muslim*innen und zur Enteignung und Marginalisierung anderer religiöser Minderheiten, Arbeiter*innen, indigener Communities und Dalit-Communities aufruft.[4] Der Film ist auch ein Versuch, den allgemeinen progressiven Diskurs und die Akteur*innen der Zivilgesellschaft zu diskreditieren, die die diskriminierende und regressive Politik der derzeitigen Regierung aktiv in Frage gestellt haben.  

Die hindunationalistische Bharatiya Janata Party (BJP) von Premierminister Narendra Modi ist der politische Flügel des faschistischen Freiwilligenkorps Rashtriya Sayamsevak Sangh (RSS). Der RSS entwickelte sich parallel zu den Ideologien des deutschen Naziregimes und des italienischen Faschismus und unterhielt enge Verbindungen zu deren Führungen.[5] Antimuslimische Pogrome unter dem Einfluss der hindunationalistischen Bewegung haben in Indien eine lange Geschichte (zuletzt in Delhi im Jahr 2020[6]).  

Der Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Filmes ist besonders heikel und politisch motiviert. Kaschmir, die am stärksten militarisierte Region der Welt, ist seit Jahrzehnten der gewaltsamen Unterdrückung durch den indischen Staat ausgesetzt. Die Situation hat sich seit 2019 verschärft, als die indische Regierung dem Bundesstaat Jammu und Kaschmir seine verfassungsmäßige Autonomie entzog und einen physischen und kommunikationstechnischen Lockdown bzw. eine Blockade verhängte, die über ein Jahr lang andauerte.[7] Die kaschmirische Bevölkerung erlebt Unterdrückung, Gewalt und Diskriminierung durch den indischen Staat nicht nur in Kaschmir, sondern in ganz Indien. Infolge der staatlichen Propaganda werden sind Kaschmiris in Indien der Verweigerung von Unterkünften, Profiling und Überwachung in öffentlichen Bildungseinrichtungen sowie Polizeigewalt ausgesetzt. Im Jahr 2021 sagte der Gründer und Präsident der globalen Organisation Genocide Watch, die die vorsätzliche Vernichtung ethnischer, rassischer und religiöser Gruppen anzeigt: „Die systematische, staatlich geförderte Diskriminierung von kaschmirischen Muslim*innen trägt alle Merkmale eines Völkermords“.[8] Die Gefahr, die von der in „The Kashmir Files“ dargestellten manipulierten Faktenlage ausgeht, muss in diesem Kontext verstanden werden.  

Die gewalttätige und hassvolle Wirkung des Films ist nicht zufällig, sondern gewollt. Der Regisseur des Films, Vivek Ranjan Agnihotri, hat sich immer wieder öffentlich hetzerisch gegen Muslim*innen, andere Minderheiten und Progressive in Indien geäußert.[9] Er steht in enger Verbindung mit der derzeitigen politischen Führung und deren Bemühungen, eine rechtsgerichtete Hindu-Ideologie und hasserfüllte Inhalte zu propagieren.  

Obwohl dieser Film nicht direkt vom Staat finanziert wird, kann er als staatlich geförderte Propaganda durch die Hintertür angesehen werden, denn die gesamte Regierungsmaschinerie fördert und unterstützt ihn – viele von der BJP regierte Bundesstaaten haben Steuererleichterungen angekündigt, um die Bevölkerung zu ermutigen, den Film zu sehen, und haben spezielle Filmvorführungen angekündigt, Regierungsangestellte wurden freigestellt, um an Vorführungen teilzunehmen, und führende BJP-Politiker*innen, einschließlich des Premierministers Narendra Modi, haben den Film beworben und jeden ermutigt, ihn anzuschauen.[10] Der Film benutzt zahlreiche historische Fakten, darunter auch Bildmaterial, verwebt diese jedoch in einem falschen Zusammenhang, um ein Bild der muslimischen Bevölkerung Kaschmirs zu zeichnen, die hauptsächlich aus radikalen islamischen Terroristen bestehe, und wo ein Zusammenleben zwischen den verschiedenen Religionsgemeinschaften nicht möglich sei.[11] Filme wie dieser werfen die Bemühungen derjenigen, die sich für eine friedliche Koexistenz der Religionen einsetzen, weiter zurück. 

Der Film „The Kashmir Files“ stammt direkt aus dem Goebbelschen Propagandahandbuch – so wie das Kino im Dritten Reich eine Schlüsselrolle in der Propaganda spielte, bedient sich die BJP ähnlicher Techniken der Meinungsbildung, um ein „wahrhaft religiös-psychologisches Phänomen“ gegen Kaschmiris und Muslime im Allgemeinen zu erzeugen. [12] 

Zusammenfassend sind wir der Ansicht, dass „The Kashmir Files“ als politisches Propagandainstrument zur Aufstachelung, Täuschung und Aufhetzung des Publikums betrachtet werden sollte. Wir sind besorgt, dass der Film zu mehr Hassrede und Gewalt gegen Muslim*innen führen wird, nicht nur in Indien, sondern auch darüber hinaus. Ein Film wie dieser wird islamfeindliche Stimmungen in der ganzen Welt weiter schüren. Für uns ist Deutschland ein Land, in dem wir vor willkürlicher politischer Verfolgung durch den indischen Staat sicher sind und in dem wir den zivilgesellschaftlichen Raum haben, um für Menschenrechte und gegen autoritäre Politik und rechtsextreme Propaganda zu kämpfen. Wir schätzen die hier vorherrschende offene und zugleich kritische politische Kultur, in der Themen wie Diskriminierung von Minderheiten meist sensibel behandelt werden. Wir möchten Sie daher bitten, sich Ihrer Verantwortung in dieser Angelegenheit bewusst zu sein und die Vorführung dieses Filmes in deutschen Kinos zu bremsen, um der weiteren Verbreitung von Propaganda, Provokation und Hassrede Einhalt zu gebieten. 

Bitte zögern Sie nicht, sich mit uns in Verbindung zu setzen, wenn Sie weitere Fragen haben oder die Angelegenheit im Detail besprechen möchten. 

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. 


Mit freundlichen Grüßen, 
India Justice Project 

Website: https://www.indiajusticeproject.de/de/startseite/ 

Instagram: @indiajusticeproject 

Twitter: https://twitter.com/indiajusticep 


[1] “The Kashmir Files: How a New Bollywood Film Marks India’s Further Descent Into Bigotry”, (2022), https://time.com/6162035/kashmir-files-india-hindu-muslim/, Here are five things ‘The Kashmir Files’ gets wrong about Kashmir” (2022), https://scroll.in/article/1019863/here-are-five-things-the-kashmir-files-gets-wrong-about-kashmir 

[2] We ID’d Anti-Muslim Sloganeers at ‚The Kashmir Files‘ Screenings. What We Found Won’t Surprise You.”(2022)https://thewire.in/communalism/kashmir-files-hindutva-anti-muslim-hate 

[3] Opinion: I tried watching ‘The Kashmir Files.’ I left the theater to screams of ‘Go to Pakistan.’” (2022), https://www.washingtonpost.com/opinions/2022/03/29/india-movie-kashmir-files-screams-go-to-pakistan/ 

[4] “How the BJP is promoting ‘The Kashmir Files’: Modi’s endorsement, tax breaks, leave from work” (2022), https://thediplomat.com/2022/03/bjp-government-uses-a-movie-to-incite-anti-muslim-violence/ 

[5] Guruji’s Lie– The RSS and MS Golwalkar’s undeniable links to Nazism (2021),https://caravanmagazine.in/history/rss-golwalkar-links-nazism, “Foreign hand in the Sangh” 

(2018), https://indianexpress.com/article/opinion/columns/foreign-hand-in-the-sangh-rss-hindu-society-muslims-christians-5117648/

[6] “Why the 2020 violence in Delhi was a pogrom(2021), https://www.aljazeera.com/opinions/2021/2/24/why-the-2020-violence-in-delhi-was-a-pogrom 

[7] Amid Communication Blockade, Kashmiris Robbed of the Right to Mourn Their Dead” (2019) 

https://thewire.in/rights/kashmir-370-communication-blockade

[8]KASHMIR IS ON THE BRINK OF GENOCIDE, WARNS AMERICAN SCHOLAR”(2021),  

https://www.genocidewatch.com/single-post/kashmir-is-on-the-brink-of-genocide-warns-american-scholar

[9] “Why is Rutgers University hosting an Islamophobe and a sexual predator to talk about Kashmir?”(2022), https://standwithkashmir.medium.com/why-is-rutgers-university-hosting-an-islamophobe-and-a-sexual-predator-to-talk-about-kashmir-e9be82a40bfc 

[10] “How the BJP is promoting ‘The Kashmir Files’: Modi’s endorsement, tax breaks, leave from work” (2022), https://scroll.in/article/1019708/how-the-bjp-is-promoting-the-kashmir-files-modis-endorsement-tax-breaks-leave-from-work 

[11] Farooqui. D, The wire (März 2022) “The Script Is Shoddy, Truth Is Distorted But The Sole Intent of ‚The Kashmir Files‘ Is Manipulation of Emotions”, https://thewire.in/film/the-kashmir-files-manipulation 

[12] “‚The Kashmir Files‘ Is a Manipulative Propaganda Vehicle To Rouse Emotions Against Muslims” (2022), https://thewire.in/film/the-kashmir-files-manipulative-propaganda-vehicle-rouse-emotions-vivek-agnihotri-bjp 

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