Angriff auf Menschenrechtsverteidiger*innen
Der Bhima Koregaon Fall
Der Bhima-Koregaon oder „BK“ Fall ist ein langjähriges Beispiel für den Versuch des indischen Staates, abweichende Meinungen zu unterdrücken. In dem Fall geht es um die willkürliche Inhaftierung von 16 Menschenrechtsverteidiger*innen seit 2018. Der Grund für ihre Verhaftung war, dass sie es wagten, kritisch über Maßnahmen der indischen Regierung zu sprechen und zu schreiben und marginalisierten Gemeinschaften zu helfen. Zu der sogenannten BK-16-Gruppe gehören vier Akademiker, drei Rechtsanwälte, zwei unabhängige Journalisten, ein Gewerkschaftler und Sozialaktivist, ein Dichter, drei darstellende Künstler*innen und ein Jesuitenpater. Sie alle haben sich als Schriftsteller*innen, Redner*innen und Organisator*innen für die Rechte von Arbeitnehmer*innen, Minderheiten, Dalits und Adivasi mit friedlichen und verfassungsmäßigen Mitteln eingesetzt.
Die Mehrheit der BK-16 sind ältere Menschen mit verschiedenen Erkrankungen. Mindestens sieben der Inhaftierten haben sich im Gefängnis mit Covid-19 infiziert, andere berichteten über verschiedene akute Infektionen und eine rasche Verschlechterung ihres Gesundheitszustands. Die einzig verfügbare medizinische Versorgung im Gefängnis wird von traditionellen Medizinern geleistet, die für die Behandlung dieser Krankheiten nicht qualifiziert sind und ungeeignete Medikamente abgeben, die die Symptome der Gefangenen verschlimmern. Einer der Angeklagten, Pater Stan Swamy – 83 Jahre alt und an der Parkinson-Krankheit leidend – starb aufgrund der verzögerten medizinischen Versorgung am 5. Juli 2021 in Untersuchungshaft. Derzeit sitzen in dem Strafverfahren 13 Personen ohne Gerichtsverfahren im Gefängnis.
Die meisten der verhafteten Aktivist*innen und viele ihrer Familienangehörigen, Kolleg*innen und Anwält*innen sind Opfer des Spionageangriffs von Pegasus und Netwire. Die jüngsten Berichte der renommierten Bostoner IT-Forensik-Firma Arsenal Consulting haben ergeben, dass alle sogenannten belastenden „Beweise“, die zur Rechtfertigung der Verhaftung mehrerer BK-16 verwendet wurden, von einem externen Agenten mit Hilfe einer Malware namens Netwire Remote Access Trojan (RAT) aus der Ferne eingeschleust wurden. Dies geschah durch die Analyse geklonter Kopien der Festplatten des verhafteten Anwalts Surendra Gadling und des Aktivisten Rona Wilson.
Die Nationale Ermittlungsbehörde (NIA) verhörte zahlreiche weitere Personen im Zusammenhang mit dem Fall – Aktivist*innen, Schriftsteller*innen und Journalist*innen aus dem ganzen Land wurden von der NIA vorgeladen.
Sudha engagierte sich unermüdlich in der Gewerkschaft Chhattisgarh Mukti Morcha. Sie gründete das Anwaltskollektiv Janhit, das kostenlosen Rechtsbeistand für Industriearbeiter*innen, sowie von Landnahmen, Umweltverschmutzung und Bergbau betroffene (Adivasi-) Communities anbietet. Zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung unterrichtete sie als Gastprofessorin an der National Law University in Delhi. Im Dezember 2021 wurde sie aufgrund von Verfahrensfehlern unter strengen Kautionsauflagen freigelassen.
Rona hat sich mit der Situation politischer Gefangener, sowie der Anwendung drakonischer Gesetze befasst, wie dem Gesetz zur Verhinderung rechtswidriger Handlungen (UAPA). Zusammen mit anderen Aktivist*innen gründete er das Committee for the Release of Political Prisoners (CRPP). Unmittelbar vor seiner Verhaftung wurde er von der University of Surrey und der University of Leicester als Doktorand (Thema: Die Fiktion des muslimischen Anderen: Staat, Gesetz und die Politik der Namensgebung im heutigen Indien) angenommen.
Shoma ist eine angesehene Akademikerin, Englischprofessorin und Frauenrechtsaktivistin. Zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung leitete sie die englische Abteilung an der Nagpur University. Jahrzehntelang befasste sie sich intensiv mit Postkolonialismus und Frauenstudien. Dabei erörterte sie feministischen Subjektivitäten von Dalit- und Adivasi-Frauen, die unter verschiedenen Strukturen unterdrückt werden. Zudem setzte sie sich für Rechtsbeistand für weibliche politische Gefangene ein.
Sudhir wurde in einer armen Dalit-Arbeiterfamilie im Indora-Slum in Nagpur geboren. Über viele Jahre hinweg hat er sich aktiv gegen Gräueltaten an Dalits eingesetzt. Im Jahr 2002, nach den Pogromen in Gujarat, gründete er die Marathi (indische Sprache) Zeitschrift Vidrohi. Diese Zeitschrift spielt eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, Menschenrechtsverletzungen an Dalits und anderen marginalisierten Communities in ganz Indien anzuprangern.
Hany ist Sprachwissenschaftler, Anti-Kasten-Gelehrter und sozialer Aktivist. Als er verhaftet wurde, war er außerordentlicher Professor für Linguistik an der Delhi University. Er war in verschiedenen Bewegungen für soziale Gerechtigkeit aktiv. Von 1997 bis 2001 war Hany, der für seine sprachwissenschaftlichen Arbeiten international bekannt ist und mit einem Preis als bester junger Sprachwissenschaftler ausgezeichnet wurde, an verschiedenen deutschen Universitäten tätig.
Anand ist Ingenieur, angesehener Autor und Dalit-Gelehrter. Als er verhaftet wurde, war er leitender Professor am Goa Institute of Management. Er beruft sich auf die von Ambedkar vertretenen Werte und zählt zu den führenden Intellektuellen Indiens. In seiner Kolumne "Margin Speak" in der Zeitschrift Economic and Political Weekly hatte er die Regierung Narendra Modi in seinen Artikeln über soziale Wohlfahrt, kommunale Harmonie und die strafrechtliche Verfolgung von sozialen Aktivist*innen scharf kritisiert.
Vernon ist Aktivist und Akademiker, der an verschiedenen renommierten Hochschulen gearbeitet hat. Als junger Absolvent nahm er eine Stelle bei Siemens an, gab diese aber später auf, um sich für Arbeiter*innen und Slumbewohner*innen in Chandrapur und Mumbai einzusetzen. Er schrieb zahlreiche Artikel über die Rechte von Dalits und Adivasi, über Landnahmen, den Zustand der indischen Gefängnisse und den Missbrauch des Strafrechtssystems gegenüber marginalisierten Communities und setzte sich für die Abschaffung drakonischer Sicherheitsgesetze ein.
Varavara ist Dichter, Lehrer, Kolumnist, Literaturkritiker, Übersetzer, öffentlicher Redner und eine Schlüsselfigur der progressiven literarischen Bewegung in der Sprache Telugu. In seiner sechzigjährigen Karriere als Dichter und Schriftsteller hat er 16 Gedichtbände und etwa zwanzig Prosabände veröffentlicht, darunter Literaturkritik und soziopolitische Analysen. Rao wird international geachtet und ist auf Plattformen wie Poetry International Web vertreten.
Mahesh Raut ist ein junger Aktivist, der sich für die Rechte von Adivasi in seiner Heimatregion Gadchiroli einsetzt. Er hat sich unermüdlich für die Einhaltung von Schutzrechten wie PESA und FRA eingesetzt, die die demokratischen Rechte indigener Gemeinschaften vor unrechtmäßigem Landraub schützen. Er war Mitbegründer der Organisation Visthapan Vidrohi Jan Vikas Andolan (VVJVA), die gegen die gewaltsame Vertreibung von Adivasi und anderen Communities kämpft.
Gautam ist ein erfahrener Journalist, Schriftsteller/Autor, sowie Bürgerrechtsaktivist. Seit ihrer Gründung ist er ein aktives Mitglied in der People's Union for Democratic Rights (PUDR). Er hat die Politik der Aufstandsbekämpfung, die gegen die Bevölkerung geführt wird, scharf kritisiert und sich aktiv für demokratische Freiheiten in Kaschmir und Chhattisgarh eingesetzt, sowie für die Entmilitarisierung und friedliche Lösung bewaffneter Konflikte.
Arun ist Autor, Rechtsanwalt, Karikaturist und Aktivist. Er war ein führendes Mitglied der Indian Association of People's Lawyers (IAPL), die kostenlose Rechtshilfe für marginalisierte Gruppen leistet. Er saß bereits von 2007 bis 2012 in Untersuchungshaft, bevor er von allen Vorwürfen freigesprochen wurde. Nach seiner Freilassung schloss Arun sein Jurastudium ab und begann als Anwalt zu praktizieren. Mit seinem Buch "Colours of the Cage" und anderen Online-Schriften trug er maßgeblich dazu bei, Haftbedingungen in indischen Gefängnissen aufzudecken.
Jyoti ist Sängerin und Kulturaktivistin, die unerschrocken und entschlossen gegen die Hindutva, das Kastendenken und Ungleichheit singt. 2007 wurde sie als 20-Jährige Mitglied der DalitKulturtruppe Kabir Kala Manch (KKM). Bevor sich Jyoti der Gruppe angeschlossen hatte, war sie eine engagierte Aktivistin in Seva Dal, einer sozialistischen Jugendgruppe gewesen. Im September 2020 wurde Jyoti als drittes Mitglied von KKM verhaftet. Sie ist die jüngste Beschuldigte im Bhima-Koregaon-Fallkomplex.
Sagar ist für seine kraftvollen Gedichte und Performances bekannt, die sich gegen Kastendenken, Hindutva und staatliche Unterdrückung wenden. Er ist seit 2004 Mitglied von Kabir Kala Manch (KKM), einer Dalit-Kulturgruppe, die eine marxistische Philosophie mit den Werten, für die Ambedkar eingetreten war, verknüpft. KKM wurde von jungen Menschen als Reaktion auf die Unruhen in Gujarat im Jahre 2002 gegründet. In der Vergangenheit hatte Ramesh in einem anderen fingierten Fall bereits drei Jahre in Untersuchungshaft verbracht.
Ramesh ist Dichter des Widerstands, ein Shahir, ein Theaterregisseur, ein Songschreiber und ein kulturpolitischer Aktivist und Organisator. Er ist ein Gründungsmitglied der Dalit-Kulturgruppe Kabir Kala Manch (KKM), einer der fortschrittlichsten soziokulturellen Bewegungen in Pune, die Musik und Theater einsetzt, um das Bewusstsein für Kastendenken, Patriarchat, Kommunalismus, die Not der bäuerlichen Communities und verschiedene Formen des Extremismus zu schärfen. Ramesh schrieb viele ihrer Straßentheaterstücke und führte oft auch Regie.
Surendra ist ein leidenschaftlicher Dalit- und Menschenrechtsaktivist, sowie ein erfolgreicher Strafrechtler, der zahlreiche politische Fälle geführt hat. Er begann seine politische Arbeit als Kulturaktivist in Nagpur, wo er die Kulturgruppe Awhan Natya Manch gründete. Als Generalsekretär der Indian Association of People's Lawyer (IAPL) hatte er sich für Anwält*innen eingesetzt, die strafrechtlich verfolgt wurden, weil sie Mandant*innen vertraten, gegen die unter drakonischen Anti-Terror-Gesetzen Strafverfahren geführt wurden.
Stan war ein katholischer Priester und der Gründer von Bagaicha, einem sozialen Zentrum, das sich für die Stärkung von Adivasi- und anderen marginalisierten Communities einsetzt. In Jharkhand war Stan eine Schlüsselfigur in Bezug auf indigene Rechte. Er hatte ausführlich über das Kastensystem, Religion, Landrechte, Protestbewegungen, sowie die willkürliche und unrechtmäßige Verhaftung von Adivasi geforscht und geschrieben. Im Gefängnis hatte der 84-Jährige monatelang keinen Zugang zu angemessener medizinischer Versorgung. Er verstarb im Juli 2021 in Gewahrsam.
